Anton Bruckner – ein symphonischer Streifzug
Mit den großen Symphonien von Ludwig van Beethoven war diese Gattung aus Sicht vieler Musikschaffender vollendet. Sie wollten nicht mit dem Meister der Klassik verglichen werden – einige wichen daher auf verwandte Kompositionsformen wie die sinfonische Dichtung aus, andere forderten eine radikale Neuorientierung in Richtung eines Gesamtkunstwerks mit Bühnenbild und Gesang. Einig war man sich darin, dass die traditionelle Symphonieform ausgedient habe. Anton Bruckner sah dies anders und führte die Symphonie in ihrem traditionellen viersätzigen Aufbau zu einer neuen, epischen Blüte.
Eine Stunde und mehr: Bruckners Hang zum Epischen
„Episch“ ist ein erstes Stichwort, um den Stil des Komponisten, dessen Geburt sich 2024 zum 200. Mal jährt, zu beschreiben. Denn wer sich eine Bruckner-Symphonie zu Gemüte führt, braucht Sitzfleisch. Schon mit der dritten Symphonie knackte er – je nach Fassung – die 60-Minuten-Marke. Er schaukelte sich bis zur Achten auf über 80 Minuten hoch. Die unvollendete 9. Symphonie hätte diese Marke wohl noch einmal übertroffen, bereits die (zu Ende gebrachten) ersten drei Sätze dauern rund eine Stunde.
Doch die (Über-)Länge der Stücke war nie Selbstzweck. Der Jubilar nutzte die Zeit, um Themen entstehen zu lassen, sie zur Entfaltung zu bringen, weiterzuentwickeln und in späteren Schaffensperioden auch ihren Zerfall zu zelebrieren. Das Adagio der 8. Symphonie etwa zählt trotz 25 Minuten Länge zu den Meilensteinen der Bruckner’schen Kompositionskunst. Berühmt ist auch das sich über 21 Takte hinziehende Hauptmotiv des ersten Satzes in der Siebten, das er mit einem 60-Takte-Thema in der Neunten noch einmal toppte.
Musikalische Merkmale der Bruckner-Symphonien
Geht es nur um die Länge der Werke, unterscheidet sich Bruckner kaum von Gustav Mahler, der in mehrfacher Hinsicht in die Fußstapfen des Oberösterreichers trat. Doch Bruckner-Symphonien haben auch unverkennbare musikalische Merkmale. Sei es der erste Satz, stets mit einer kurzen Einleitung, mehreren Themengruppen und meist in moderatem Tempo, das Adagio mit seinem feierlichen Höhepunkt (fast immer in C-Dur), das Scherzo mit Anleihen aus der österreichischen Volksmusik oder das an den Kopfsatz anschließende Finale.
Unverkennbar ist auch der sogenannte Bruckner-Rhythmus, ein Nebeneinander bzw. Übereinander von zwei- und dreiteiligen Elementen, etwa von zwei Viertelnoten und einer Triole. Oder die Dynamik mit dem unvermittelten Wechsel von lauten und leisen Teilen, die oft schroffen harmonischen Wechsel, Barock-Anleihen durch kontrapunktische Elemente und die Abgrenzung einzelner Instrumentengruppen, um letztlich den Klang des großen Orchesters voll zur Entfaltung zu bringen.
Das Dilemma der Fassungen
Gerne würden wir an dieser Stelle alle neun Symphonien von Anton Bruckner einzeln analysieren. Doch hier beginnt das Dilemma bereits: Waren es wirklich nur neun? Dazu muss man zunächst die Studiensymphonie in f-Moll sowie die „Nullte“, die der Komponist nach der Fertigstellung im Jahr 1869 zurückzog, die heutzutage aber trotzdem regelmäßig aufgeführt wird, ausklammern. Außerdem hat sich kaum ein anderer Musikschaffender so sehr mit den eigenen Werken beschäftigt und sie immer wieder überarbeitet.
Die Neufassungen reichten von rein kosmetischen Veränderungen der Instrumentalisierung über Kürzungen bis hin zur Neukomposition ganzer Sätze in der 4. Symphonie. Manche Musikhistoriker schreiben Bruckner daher statt neun bis zu 18 Symphonien zu.
Genau betrachtet: Die Symphonien Nr. 4, 5 und 6
Versuchen wir am Ende unseres symphonischen Streifzugs dennoch, drei Bruckner-Stücke etwas genauer zu betrachten: die 4., 5. und 6. Symphonie.
Die Vierte vor allem, weil sie eine seiner bekanntesten und beliebtesten Kompositionen ist. Weltberühmt ist vor allem das Scherzo, das an eine Jagdszene angelehnt und dementsprechend von Bläserfanfaren geprägt ist. Dieser dritte Satz wurde für die Zweitfassung des Werks komplett neu komponiert – hört hier einen Ausschnitt der Version von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern. Das Gesamtwerk, von Bruckner selbst mit dem Beinamen „Die Romantische“ belegt, gilt als die am leichtesten verständliche unter seinen Symphonien. Und sie macht deutlich, dass er im Spannungsfeld von absoluter Musik und Programmmusik durchaus Letzterer zugetan war und mit seiner Musik klare Bilder erzeugte.
Seinen tief empfundenen christlichen Glauben brachte Anton Bruckner in der 5. Symphonie zum Ausdruck. Anders als die Vierte wurde sie nach ihrer Erstveröffentlichung nicht mehr überarbeitet. Was blieb, waren somit eine heitere Grundstimmung sowie eine zukunftsweisende Melodik und Harmonik – nicht immer leicht zu erfassen, aber überaus lohnend.
Die Sechste verbindet mit der Fünften das Schicksal, dass sie ihr Schöpfer nie in voller Orchesterbesetzung erlebte. Aufgeführt wurde sie nämlich erst 1899 in einer gekürzten Version von Gustav Mahler und 1901 im Original. Vor allem das feierliche Adagio, das gegen Ende in eine Art Trauermarsch übergeht, ist bei musikalischen Feinspitzen sehr beliebt und gilt heute als Grundstein für die nächste Schaffensperiode mit der berühmten 7. Symphonie.
Bruckner zum 200. Geburtstag live erleben
Wer Bruckners Vierte, Fünfte und Sechste live erleben will, hat im kommenden Monat im Großen Festspielhaus eine tolle Gelegenheit. Von 16. bis 18. Oktober werden die drei Werke hintereinander aufgeführt – von drei verschiedenen Orchestern unter Leitung von drei verschiedenen Dirigenten. In unserem Titelbild: die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserlautern mit ihrem Dirigenten Pietari Inkinen.
Nähere Infos zum Bruckner-Reigen der Salzburger Kulturvereinigung findet ihr hier.
Titelbild: Jean M. Laffitau