Sinfonische Dichtung

Die sinfonische Dichtung: Wie Klangwelten entstehen

Im Spannungsfeld von Programmmusik und absoluter Musik bildete sich im 19. Jahrhundert die sinfonische Dichtung heraus. In diesem Blogbeitrag widmen wir uns dieser Gattung und zeigen anhand berühmter Beispiele, wie man allein mit Instrumenten neue Klangwelten erzeugen und spannende Geschichten erzählen kann.

Programmmusik und absolute Musik

Ist Musik ein Mittel zum Zweck oder der Zweck selbst? An dieser Frage schieden sich jahrhundertelang die Komponisten-Geister. Die einen, Johannes Brahms zum Beispiel, fanden, dass die Tonkunst für sich stehen könne und keine thematischen Motive brauche. Richard Wagner prägte dafür den Begriff „Absolute Musik“ und war selbst der gegenteiligen Ansicht. Für ihn konnte Musik nicht von anderen Künsten und vom Leben isoliert sein – sie brauche ein Programm.

Heute existieren beide Strömungen nebeneinander. Die Neue Musik des 20. Jahrhunderts, aber auch die elektronische Experimentalmusik trieben die „Befreiung“ der Musik von allem Außermusikalischen ins Extrem, während die moderne U-Musik die gesellschaftliche Integration musikalischer Themen perfektionierte. Dazu kommen viele Misch- und Unterkategorien, unter ihnen die sinfonische Dichtung.

Frei von Zwängen – die sinfonische Dichtung

Die sinfonische Dichtung entwickelte sich in der Epoche der Romantik und gilt als spezielle Form der Programmmusik. Dabei hat sie auch einiges mit der absoluten Musik gemeinsam, allerdings bedeutet Freiheit von Zwängen hier nicht Freiheit von Themen, sondern eher die Aufweichung starrer musikalischer Formen.

Franz Liszt etwa plädierte dafür, die klassischen Kompositionsprinzipien nicht als unumstößliche Regeln zu sehen. Vielmehr solle Musik poetische Gedanken ausdrücken – und diese Gedanken seien wandelbar. Dementsprechend können sinfonische Dichtungen Sonatenhauptsatz, Rondo oder Variationen als formale Grundlagen verwenden, aber auch aus einem einzigen längeren Satz bestehen.

  • Also sprach Zarathustra: Richard Strauss war ein Meister der sinfonischen Dichtung (Till Eulenspiegels lustige Streiche, Don Quixote, Eine Alpensinfonie …). Am bekanntesten ist allerdings das Hauptmotiv seiner musikalischen Übersetzung des Nietzsche-Textes „Also sprach Zarathustra“. Mit Pauke und ansteigenden Trompetenklängen wird ein Sonnenaufgang dargestellt. Das Motiv wurde in zahlreichen Filmen übernommen, allen voran in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“.
  • Romeo und Julia: Die Vertonung von Shakespeares tragischer Liebesgeschichte gilt als erstes großes Meisterwerk von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Es verbindet drei Themen, die den Konflikt zwischen den verfeindeten Familien (getragen von Flöten und Violinen), die Weisheit von Pater Lorenzo (Streicher) und die Liebe der beiden Hauptfiguren (Cello, später Holzbläser und Hörner) darstellen.
  • Pacific 231: Der Schweizer Arthur Honegger beschrieb die Fahrt mit einer Dampflokomotive vom Stillstand vor dem Losfahren bis zum Anhalten am Ziel. Die Bewegung erzeugte er nicht mit Tempowechseln, sondern allein mit kürzeren und längeren Notenwerten und den Charakteristika einzelner Instrumente (zum Beispiel der Tuba beim schwerfälligen Anfahren).

Die Moldau – Geschichte eines Flusses

DAS Meisterwerk der Gattung ist aber zweifellos „Die Moldau“ von Bedřich Smetana. Sie ist Teil eines sechsteiligen Zyklus‘ von sinfonischen Dichtungen, die der Komponist „Má Vlast“ (Mein Vaterland) nannte, und beschreibt den Verlauf des größten tschechischen Flusses von den beiden Quellen bis zur Mündung in die Elbe. Aber auch Ereignisse am Flussufer – eine Waldjagd und eine Bauernhochzeit – sowie der Mondschein über den Fluss werden beschrieben.

Insgesamt gliedert sich das rondoartige Stück, in dem das Hauptmotiv mehrmals wiederkehrt, in neun Abschnitte. Der verspielte Einstieg, in dem Flöten und Klarinetten die beiden Quellen symbolisieren und Geigen als Wassertropfen quasi dazwischenspritzen, mündet im Moldau-Thema. Hier fühlt man förmlich die Wellen, die durch die an- und absteigende Melodie, gepaart mit Crescendo und Decrescendo, dargestellt werden.

Ein tschechisches Original

Der Má-Vlast-Zyklus spiegelt das erwachende nationale Selbstverständnis von Böhmen und Mähren wider – die berühmte Moldau-Melodie ist bis heute die heimliche tschechische Nationalhymne. Dementsprechend glänzen vor allem Orchester aus dem Ursprungsland der Moldau bei der Interpretation des Werks.

Als Smetana-Spezialisten gelten vor allem die Prager Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Tomáš Brauner. Sie lassen die Moldau am 12. April in Salzburg erklingen, aber nicht nur: Der gesamte Zyklus wird im Großen Festspielhaus dargeboten. Mehr sinfonische Dichtung geht nicht!

 

Bilder: Salzburger Kulturvereinigung/Christian Leopold